Ist es denn in Ordnung, Reptilien zu halten – oder etwa nicht?Diese Frage – genauso wie die nach der Legitimität von Tierhaltung generell – lässt sich aus meiner Sicht nicht mit einem schnellen „Ja“ oder „Nein“ beantworten. Folgende grundlegende Fragen sollten für eine abschließende Bewertung nicht einfach unter den Tisch fallen:
Welche Tiere werden gehalten?
Wo, von wem, wie und wofür werden die Tiere gehalten?
Nicht umsonst gibt es in der Gesetzgebung differenzierte Vorschriften und Paragraphen, die dazu dienen, unsere Haustiere vor Qualhaltung und Ausrottung zu bewahren. Das war allerdings nicht immer so! Es hat Jahrhunderte gedauert, bis solche Richtlinien zur „artgerechten“ Haltung überhaupt formuliert wurden und schließlich an Bedeutung und Wirksamkeit gewonnen haben.
Doch was auf dem Papier steht, sieht in der Praxis leider oft ganz anders aus! Viele Tiere werden in zu kleinen Behältnissen unter falschen und schlechten Bedingungen gehalten. Dieser Realität gilt es sich zu stellen – da gibt es nichts schönzureden. Selbst unter „erfahrenen“ Halterinnen und selbsternannten Expertinnen, beispielsweise in fachspezifischen Internetforen, fliegen einem Kommentare um die Ohren, die jeden guten Willen vermissen lassen.
Auf der anderen Seite hat sich in den letzten drei Jahrzehnten enorm viel in Sachen qualifizierter und sachkundiger Reptilienhaltung getan. Fachleute aus den unterschiedlichsten Disziplinen – Ethik, Philosophie, Jura, Naturschutz, Zoologie … und natürlich Herpetologie – haben zentrale Fragen der Tierhaltung intensiv diskutiert und damit vielfältige Antworten auf das „Wie und Warum“ gegeben.
Aufmerksamen Zoobesucher*innen fällt das sofort auf: Gewaltige Anstrengungen wurden unternommen, um den beherbergten Tieren naturnahe Gehege bieten zu können. Allein schon die neuen Techniken und Verfahren zur Herstellung täuschend echter Felsenlandschaften mit artspezifischen Kletter- oder Versteckmöglichkeiten sind eine eigene Kunstform, ein neues Handwerk – und eigentlich auch ein neuer Industriezweig geworden.
Und dennoch: Am Ende bleibt die nüchterne Tatsache, dass Tiere eingesperrt werden – auch wenn sie es vielleicht gar nicht anders kennen, weil sie in Gefangenschaft geboren wurden. Was außerdem bleibt (außer bei der Unterbringung in Freilandterrarien), ist der fehlende Himmel, die Wolken, der Wind … also kurzum: das Wetter mit all seinen Schwankungen und wiederkehrenden Phänomenen. Woher will der Mensch wissen, ob nicht auch ein Sonnenaufgang ein besonders schöner Moment im täglichen Erleben von Reptilien ist – und ob sein Fehlen nicht doch das Wohlbefinden dieser Tiere beeinträchtigt?
Dieser „vermeintlich“ traurigen Gegebenheit können Terrarianer*innen nur durch ein Höchstmaß an Verantwortung entgegentreten: indem sie alles daransetzen, ihren Schützlingen ein möglichst naturnahes Zuhause zu schaffen – ähnlich wie in modernen Zoos und Reptilienhäusern, wenn möglich sogar noch besser.
Warum „vermeintlich“ traurige Tatsache? Ja, Sie haben richtig gelesen! Denn um „Einsperrung“, also Unterbringung in ausbruchsicheren Terrarien, als grundsätzlich negative Maßnahme zu beurteilen, müssen wir uns erst fragen, ob das Tier diese Form der Haltung überhaupt so erlebt, wie wir Menschen es tun würden.Natürlich: Wer seinen Hund den ganzen Tag ohne Gassigehen oder freien Auslauf im großen Garten in der Wohnung versauern lässt, schadet dem Tier und sollte besser kein Haustier halten. Reptilien hingegen liegen oft stundenlang an einem Platz, um sich aufzuwärmen oder auf Beute zu warten.
Auch wenn es hier Unterschiede zwischen den Arten gibt, deutet dieses Verhalten darauf hin, dass ein „ganzer Garten“ als Auslauf für Reptilien wohl weniger zweckmäßig ist als für Hund oder Katze. Als wechselwarme, energiesparende Lauerjäger, die oft stundenlang verharren, leben viele Reptilien von Natur aus in räumlich sehr begrenzten Arealen bzw. Territorien. So gibt es zum Beispiel Geckoarten, die fast ihr ganzes Leben an einem einzigen Baum oder Ast verbringen.
Viel bedeutsamer als eine möglichst große Auslauffläche sind variable und gut strukturierte Versteckmöglichkeiten mit Temperaturgefälle und passender Luftfeuchtigkeit. So brauchen Leopardgeckos, die in Halbwüsten und kargen Landschaften leben, unbedingt Feuchthöhlen, in die sie sich tagsüber zurückziehen können. Fehlen solche Voraussetzungen*, zeigen die Tiere meist keine artspezifischen Verhaltensweisen, werden krank – und zur Fortpflanzung kommt es dann schon gar nicht.
Einige Arten haben sich sogar an das Leben in menschlichen Siedlungen angepasst und wählen als sogenannte Kulturfolger bewusst das Leben an vier Wänden – oft, weil ihr natürlicher Lebensraum vom Menschen zerstört wurde. Manche Terrarianer*innen lassen ihre Tiere statt in Terrarien „frei“ in der Wohnung leben. Auch in zoologischen Reptilien- oder Tropenhäusern entdeckt man hin und wieder Geckos an Wänden, Decken oder zwischen üppigen Pflanzen.
Doch diese Freihaltung bringt nicht nur mehr Bewegungsraum, sondern auch Nachteile mit sich: Frisch geschlüpfte Geckobabys werden gerne von den Elterntieren gefressen, und kranke oder verletzte Tiere lassen sich nur schwer einfangen und behandeln. Entsprechend wirken freilaufende Geckos dort nicht selten ramponiert oder krank.
(*Die Mindestgrößen für Terrarien jeder Tierart wurden vom Bundesamt für Naturschutz festgelegt und können dort nachgelesen werden.)
Die Natur ist hier ziemlich rigoros: Von 100 Jungtieren überleben vielleicht drei oder vier. Der Rest wird gefressen, stirbt an Verletzungen oder verhungert.
In Zeiten des Klimawandels kommt ein weiterer bedrohlicher Aspekt hinzu: Bei vielen Arten hängt das Geschlecht der Jungtiere von der Temperatur während der Entwicklung ab. Steigen die Temperaturen, kann es zu einem dramatischen Ungleichgewicht zwischen Männchen und Weibchen kommen – mit der Folge, dass die Art ausstirbt.Nur sachkundig durchgeführte Terraristik kann hier helfen und eine höhere sowie ausgewogenere Schlupfrate erzielen. Wie? Eine Grundvoraussetzung ist ein habitatsgetreues Terrarium mit ausreichend Platz und optimalen Rahmenbedingungen (Beleuchtung, Luftfeuchtigkeit, Futter, Nahrungsergänzung …), sodass die Tiere natürliche Verhaltensweisen zeigen – einschließlich Paarung, Eiablage und Nachwuchs.Hinzu kommen fundierte Kenntnisse über Inkubation und Aufzucht. Gelingt einem Terrarianer die Nachzucht, kann man zumindest sicher sein, dass einige Haltungsparameter stimmen. Ist das aber ein Beweis dafür, dass sich die Tiere immer wohlfühlen?
Natürlich nicht! Kein Lebewesen fühlt sich immer wohl. Dennoch gibt es weitere Kriterien, die dem Halter Aufschluss geben können – wenn er sie kennt. Reptilien zeigen keine Gefühle wie wir, denn sie besitzen kein limbisches System und keinen Neokortex. Doch ihre Konstitution und ihr Aussehen verraten viel: Gesunde Leopardgeckos haben zum Beispiel einen fingerdicken Fettschwanz. Auch Taggeckos – etwa Querstreifengeckos – speichern Fett im Schwanz. Bei ihnen lassen zudem die leuchtend grünen Köpfe und der blaue Schwanz Rückschlüsse auf ihren momentanen Zustand zu.
Mit meiner Seite geckowelt.info möchte ich einen persönlichen Beitrag dazu leisten, solche Informationen unter Gleichgesinnten und Interessierten zu verbreiten – und ein wenig Werbung für dieses wunderschöne Hobby zu machen.
Weiterführendes:
Das Video ist von 2020. Seither hat sich einiges getan und die Bilanz lässt sich zeigen. Dennoch steckt alles mehr oder weniger in den Kinderschuhen. Wer gespannt ist zu erfahren, wie es weitergeht, kann dies zum Beispiel in folgendem Blog nachlesen,
https://citizen-conservation.org/halbjahresbilanz-1-2024-die-tierbilanz/
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